Unsere Autorin ist katholisch erzogen worden. Seit Jahren wachsen ihre Zweifel – an der Kirche, aber auch an Gott. Trotzdem schafft sie es nicht so einfach, aus ihrer Glaubensgemeinschaft auszutreten. Was hält sie zurück? Über die persönliche Suche nach einer Wahrheit
Meine Zweifel holen mich zuverlässig ein, diese Zerrissenheit und dann der Ärger über mich selbst. Ich müsste es nur endlich durchziehen: aus der Kirche austreten. Es klingt so einfach, trotzdem schaffe ich es nicht.
Bei Schlagzeilen wie diesen tut es besonders weh.
Januar 2013: Katholische Klinik verweigert Vergewaltigungsopfer Abtreibung.
Januar 2016: Hunderte Kinder bei den Regensburger Domspatzen verprügelt oder sexuell missbraucht.
September 2018: 1670 Täter innerhalb der deutschen katholischen Kirche.
Meiner Kirche.
Bei jeder Meldung quälen mich Wut, Trauer, Fassungslosigkeit. Und das schlechte Gewissen: Warum gehöre ich diesem Verein noch an? Mehr noch: Wie kann ich es vor mir selbst verantworten? Ich sage mir: Bloß raus da. Und unternehme: nichts.
Um ehrlich zu sein, kann ich seit Jahren nichts mehr mit der Kirche anfangen. Genauer: möchte nichts mehr mit ihr anfangen. Ja, ich wehre mich fast schon dagegen, ihr etwas Positives abzugewinnen. Nachdem ich mich in den vergangenen Jahren mit dem Missbrauch in der Kirche befasst, als Journalistin mit Opfern gesprochen hatte, ging meine Klappe endgültig zu. Es fühlte sich an, als hätte die Kirche, der ich jeden Sonntagmorgen meiner Kindheit schenkte, die mir Trost spenden und Moral vermitteln sollte, mich betrogen, mein Vertrauen missbraucht. Genauso trotzig reagiere ich seither: Ich lasse sie nicht mehr an mich ran. Wäre sie mein Partner, würde ich mich umdrehen, sobald er den Mund aufmachte, würde wortlos den Raum verlassen. In der Hoffnung, dass dadurch etwas von meiner Verletztheit auch für ihn spürbar wird. Das Aberwitzige daran: Ich verhalte mich normalerweise nicht so, schon gar nicht über so lange Zeit, über Jahrzehnte hinweg. Mit jeder Beziehung habe ich ein versöhnliches Ende gefunden. Mit der Kirche verharre ich verbitterter. Weil sie kein menschliches Wesen ist, nicht fühlt, nicht reagiert, weil mein Schmerz kein Echo findet, wodurch er getilgt werden könnte.
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erschienen im Süddeutsche Zeitung Magazin