Mehr als hundert Frauen wurden vergangenes Jahr von ihrem Partner oder Ex-Partner umgebracht. Die Täter kommen oft mit milderen Strafen davon als bei vergleichbaren Delikten – wegen ihrer Eifersucht.
Kriminalgericht Berlin-Moabit, Saal 704. In der Mitte des Raumes, wo sonst die Zeugen sitzen und aussagen, ist ein großer Bildschirm aufgebaut. Zu sehen dort ist Noura R.*, 40 Jahre alt. Sie ist der Verhandlung aus einem anderen Zimmer zugeschaltet, um gegen den Mann auszusagen, der sie fast getötet hat.
17 Messerstiche in Oberkörper, Arme und Beine. Nur mit Glück hat sie den Angriff ihres Ex-Partners überlebt. Noch einmal vor diesen Mann zu treten, schafft Noura nicht.
An einem Mittwochnachmittag im Dezember 2021 ruft Noura den Aufzug zu ihrer Wohnung. Als sich die Türen öffnen, steht Mohamed M. vor ihr und geht mit zwei Messern auf sie los. „Du hast mich betrogen, heute ist dein Ende“, ruft er, so erinnert sie es.
Unter den Stichen bricht Noura zusammen. Wenn sie jetzt stirbt, was wird dann aus ihrer Tochter? Als M. von ihr ablässt und wegrennt, schleppt sie sich nach draußen, damit jemand sie bemerkt und Hilfe ruft. Noura überlebt nur knapp.
Im vergangenen Jahr kamen in Deutschland laut der neuen Statistik des Bundeskriminalamts 113 Frauen durch Attacken ihrer Partner oder Ex-Partner ums Leben, also durchschnittlich etwa jeden dritten Tag eine. In 109 Fällen handelte es sich um Mord oder Totschlag, in vier Fällen endete die Körperverletzung mit dem Tod. Weitere 192 Mal kam es zu einem versuchten Mord oder Totschlag. Das heißt: Fast jeden Tag versucht ein Mann, seine Partnerin oder Ex-Partnerin zu töten.
Zum Vergleich: 14 Männer starben 2021 durch ihre Partnerin oder Ex-Partnerin. Männer töten Frauen also sehr viel häufiger als umgekehrt. Ein Wort gibt diesem Missstand einen Namen: Femizid. Gemeint ist die Tötung von Frauen, weil sie Frauen sind. Das Geschlecht spielt dann eine große Rolle, wenn es bei den Tatmotiven etwa um Kontroll- oder Besitzansprüche gegenüber einer Frau geht.
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* Name geändert
erschienen im Tagesspiegel