Hunger und Dreck machen Kinder anfällig für Infektionen. Bei der Krankheit Noma zerfressen Bakterien die Haut. Im Niger hilft der plastische Chirurg Issa Hamady.
Daumengroß klafft das Loch in der Wange des Sechsjährigen. Er weint und windet sich, während der Chirurg die Wunde inspiziert. „Zwei Stunden“, befindet Issa Hamady, den alle nur Doktor Issa nennen. Die Krankenschwester am Nebentisch notiert die Zeit. So lange wird es dauern, um Aziz Salah ein vollständiges Gesicht zurückzugeben. Zwei Operationen hat er hinter sich, diese soll die letzte sein. Der Junge rutscht vom Stuhl, eilt in die Arme seiner Mutter und mischt sich gleich darauf unter die Kinder, die aufgeregt durcheinanderlaufen.
Mehrere Drei- bis Elfjährige kichern, tuscheln, sehen den Erwachsenen bei der Arbeit zu. Die meisten sind allein in der Klinik von Niamey, der Hauptstadt des westafrikanischen Landes Niger; keine Mutter, kein Vater an ihrer Seite, weil sie zu Hause auf den Feldern arbeiten, die Großfamilie ernähren müssen. Die meisten Patienten sind zu jung, um zu verstehen, was hier vor sich geht.
Dennoch haben sie sich in ihre schönsten Kleider gehüllt, als stiegen so die Chancen, zu Auserwählten zu gehören. Stoffe, gelb wie die gleißende Sonne über dem Niger, einem der ärmsten Länder der Welt, blau wie sein Himmel während der Trockenzeit, grün wie seine saftigen Felder in der Regensaison. Auf vielen Kleidern sind Flecken, weil Speichel aus den Wunden rinnt, Spuren der Krankheit, die alle eint. In ihren Heimatdörfern erzählt man, Satan habe ihnen das Gesicht zerfressen. Mediziner haben dem Teufel einen Namen gegeben: Noma – aus dem Griechischen von „nomaì sarkós“, dem „um sich fressenden Geschwür“.
In der Kinderklinik hängt ein Geruch aus Schweiß und fauligem Fleisch. Manchen Kindern hat die Krankheit den Mund geraubt, manchen die Nase, allen etwas von ihrer Würde. Dabei lässt sich Noma mit ausgewogener Nahrung und Antibiotika heilen. Schäden im Gesicht bleiben, es sei denn, ein Überlebender schafft es bis Niamey zu Doktor Issa, dem einzigen Chirurgen im Niger, der sich auf plastische Rekonstruktion entstellter Gesichter spezialisiert hat.
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erschienen in chrismon
Die Reportage wurde mit dem Medienpreis der Deutschen Sepsis-Gesellschaft ausgezeichnet.
Die Recherche ermöglichte ein Stipendium der Sir-Greene-Stiftung.